Guide Michelin Deutschland 2019

Seite

 

März 2019

Ein führender Platz mitten in Europa

Bei der festlichen Präsentation des „Guide Michelin Deutschland 2019“ in Berlin plaudern neue 2-Sterne-Köche aus dem Nähkästchen: Felix Schneider vom „Sosein“ in Heroldsberg und Christoph Rainer vom „Luce d´Oro“ auf Schloss Elmau. Auch die Berliner Szene macht von sich reden: wie Dylan Watson-Brawn vom „Ernst“ oder Dalad Kambhu vom „Kin Dee“. Die jüngste Sterneköchin steht in München am Herd: Maike Menzel im „Schwarzreiter“.

Die zehn 3-Sterne-Restaurants in Deutschland sind dieselben wie im letzten Jahr, nur das „La Vie“ in Osnabrück fehlt, nicht weil es nachgelassen hätte, sondern weil es geschlossen hat. Die oberste Spitze bleibt im Prinzip konstant und stabil, erfreut sich guten Zuspruchs, gerade auch international – und macht dem Land Ehre.

Das ist in Zeiten, in denen die Gourmandise gelegentlich als elitär angeschwärzt wird, eine gute Nachricht, ergänzt von der Tatsache, dass hierzulande die Sternelokale insgesamt nicht weniger, sondern mehr werden, angestiegen auf 309 Restaurants, 9 mehr als im Jahr zuvor. Erfreulich auch der breite, gediegene Mittelbau, die gehobenen Gasthaus-Klasse mit 424 Lokalen, die einen „Bib“ erhielten: für sorgfältig zubereitete Menüs zu einem besonders guten Preis-Leistungs-Verhältnis.

Die Kultur im Land hat ja etwas mit der Verfassung der Gastronomie zu tun. Deshalb möchte man mit Richard Wagner alias Hans Sachs beschwören: „Verachtet mir die Meister nicht.“ Wo käme man hin, wenn es keine mehr gäbe. Wenn niemand mehr da wäre, der etwas kann und kühne Dinge auf den Teller bringt. Das mag manchmal abgehoben erscheinen. Doch das nimmt man als Gast sportlich. Denn viel öfters mutete die heimische Hochküche brillant und hinreißend an. Und der phantasiebegabte Kopf des Menschen hat es einfach nötig, dann und wann aus dem Gewöhnlichen hinausgezaubert zu werden.

Deutschland redet ein Wörtchen mit, wenn es darum geht, die Kochkunst weltweit weiterzuentwickeln. Pascal Couasnon, der Leiter bei Michelin für Food and Travel, erklärte bei der festlichen Präsentation des „Guide Michelin Deutschland 2019“ in Berlin, dass die deutsche Gastronomie von „große Dynamik“ geprägt sei und sich zu einem „führenden Platz“ mitten in Europa entwickle, sowohl getragen von erfahrenen Küchenchefs als auch belebt von einer jungen Generation an Köchen, die viel Wert auf Frische lege und sich durch Einfallsreichtum auszeichne.

Die gastronomische Szene tut von sich aus viel dafür, dass sich Steifheit und alte Gewohnheiten verlieren. Im Trend, so Couasnon, lägen das Vegane, Vegetarische, Nachhaltige, die unmittelbare Zusammenarbeit der Köche mit den Bauern sowie das Prinzip von „casual fine dining“: die ungezwungen-feine Art im Restaurant, die sich nicht elitär gibt, sondern zugänglich, freundlich und menschlich.

Die neuen 2-Sterne-Köche

Zur Klasse der 2-Sterne-Restaurants kamen jetzt fünf neue Lokale dazu, drei davon in Bayern: in Heroldsberg das „Sosein“, in Krün das „Luce d´Oro“ sowie in Wirsberg das „Alexander Herrmann by Tobias Bätz“, ferner in Rheinland-Pfalz das „Purs“ in Andernach (aus dem Stand von 0 auf 2 Sterne gesprungen) sowie in Nordrhein-Westfalen das „Ox & Klee“ in Köln.

Sternenhimmel über Berlin: Die neuen 2-Sterne-Köche in Deutschland, von links nach rechts: Alexander Hermann und Tobias Bätz (wurden gemeinsam für das „Alexander Hermann by Tobias Bätz“ ausgezeichnet), Felix Schneider vom „Sosein“ – in der Mitte Pascal Couasnon, der Leiter bei Michelin für Food and Travel – dann Daniel Gottschlich von „Ox & Klee“, Christoph Rainer vom „Luce d´Oro“ sowie Christian Eckhardt vom „Purs“
© Michelin – Andreas Schwarz

Felix Schneider, der Küchenchef im „Sosein“, legt besonderen Wert auf Nachhaltigkeit. „Der Wohlgeschmack der Speisen“, erklärt er, „ist für uns das Selbstverständliche, darüber legen wir gern weiterführende Idee und Konzepte, wie das der Nachhaltigkeit.“ Ein örtlicher Jäger mit Fischereirecht brachte beispielsweise im vergangenen Jahr eine halbe Tonne Flusskrebse ins „Sosein“. Es handelt sich um den Signalkrebse, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts aus Amerika in Europa eingeführt wurde und der den Deutschen Edelkrebs weitgehend verdrängte. Im Augenblick verbreitet sich der Signalkrebs wieder sehr „aggressiv“ und droht das ökologische Gleichgewicht in den Gewässern zu zerstören.

So sind der Kauf und die Verarbeitung der Krebse in der Küche in mehrfacher Hinsicht etwas Gutes. Der Jäger kann die Population der Krebse in Zaum und sorgt für ökologisches Gleichgewicht im Fluss; der Koch erhält ein exquisites örtliches Produkt. Darüber hinaus bevorzugt er eine energieschonende Zubereitung. Die Krebse kommen kurz ins sprudelnde Wasser, um sie ordnungsgemäß zu töten, dann stellt man daraus eine Würzsoße her, eine Art von Flusskrebs-Garum, wie es ähnlich schon die antiken Römern machten. Nach dem kurzen Erhitzen liegen die Krebse bei Zimmertemperatur im Wasser mit etwas Salz, hinzu kommt der Schimmelpilz Aspergillus, der eine Fermentation in Gang bringt, die sowohl das Krebsfleisch als auch Teile des Panzers zersetzt und würzig Umami-Aromen hervorlockt. Das dauert, mein Schneider und ergänzt: „Man könnte sagen: die langsamste Soße der Welt“.

Die braune Brühe wird schließlich geseiht und begleitet zum Beispiel ein Kohlrabi-Gericht. Auf der Karte steht: „Kohlrabi und süßes Wasser“. Wahr daran ist, dass die Flusskrebse aus Süßwasser stammen. Aber der Gast erlebt einiges an Überraschung. Zu guter Letzt kann der Koch dem Gast eine interessante Geschichte erzählen. Und das Publikum kommt nicht nur aus dem Großraum Nürnberg, sondern aus dem ganzen deutschsprachigen Gebiet nach Heroldsberg, auch aus Österreich und der Schweiz, weil man weiß, dass dort ungewohnte Wege beschritten werden und neue Geschmacksspektren zu verkosten sind.

Man kann sich allerdings auch weniger gewagt geben und dennoch einen zweiten Stern erhalten. Christoph Rainer, Küchenchef im „Luce d´Oro“ auf Schloss Elmau, erklärt: „Unsere Basis bleibt die klassisch-französische Küche, allerdings bereichert durch asiatische Elemente, insbesondere japanische.“ Letztlich spielen auch im diesem Fall kräftigere Umami-Aromen eine Rolle. Man könnte sagen: Es geht um eine leichtere Küche mit Würze und Ausdruck. „Die Tendenz läuft auf Fische und Krustentiere zu“, fügt Rainer an, „die Gäste schätzen das Bekömmliche und wollen doch Geschmack auf der Zunge haben.“

Nicht länger der Hummer, sondern kleinere Krustentiere wie Kaisergranat oder Carabineros kommen im „Luce d´Oro“ zum Zug. Auf der aktuellen Karte steht etwa „Isländischer Kaisergranat in Krustentier-Öl glasiert, Tom Kha Gai, Bimi, Taschenkrebs Dim Sum, Ginkgonuss“. Oder man bietet Fisch mit japanischer Würze an: „Bretonische Seezunge `Signatur LDO´ gebraten, Algenbutter, Edamame, Nashibirne gepickelt“.

Selbst in der Anrichteweise macht sich das japanische Element bemerkbar. Sie wird puristischer, reduzierter, geradliniger. Bei der kalten Vorspeise, so Rainer, könne man noch spielen, aber bei den warmen Gerichten achte er auf Garzeiten, Konsistenz, Geschmack und lasse alles Überflüssige weg. „Bei mir sieht nicht jeder zweite Teller aus wie ein Blumenstrauß von Fleurop“, scherzt der Meisterkoch. Er brauche keine 15 Kräuter oder 15 Blüten auf dem Teller. Lieber konzentriere er sich auf eine gute Soße und setzte diese drei- oder viermal neu an, um ihr Duft und Feinheit zu verleihen.

Berliner Szene

Im Vordergrund die vier neuen 1-Sterne-Köche in Berlin, von links nach rechts: Sauli Kemppainen vom „SAVU“, Dalad Kambhu vom „Kin Dee“, Dylan Watson-Brawn vom „Ernst“ sowie René Frank vom „CODA Dessert Dining“
© Michelin – Andreas Schwarz

In der deutschen Hauptstadt, in Berlin, sind vier neue Sternelokal hinzugekommen, darunter das „Ernst“, in dem der Kanadier Dylan Watson-Brawn Küchenchef ist. Der junge Mann hat sein Handwerk in einer 3-Sterne-Küche in Tokio gelernt und bringt internationales Flair nach Berlin. Das Lokal liegt unscheinbar im ehemaligen Arbeiterbezirk Wedding und findet schon seit geraumer Zeit weltweit Beachtung. Wahrscheinlich kocht niemand so puristisch wie er in der Hochküche in Deutschland. Er investiert viel Zeit, um die besten Produkte zu finden, die in Deutschland und Europa zu haben sind. Er will, dass der Gast erfährt, wie gut ein Produkt schmecken kann – und nimmt sich selbst kompositionell zurück. Er erhält richtig große Aale, schlachte sie selbst, filetiert sie und legt das Filet schlicht auf den Grill, leicht überzogen von einem Fond aus Aalgräten. Fertig.

Frauen sind immer noch eine Seltenheit in der Sterneküche. Dalad Kambhu vom Restaurant „Kin Dee“ in Berlin hat es in diesem Jahr geschafft, einen Stern zu erhalten. Die gebürtige Thailänderin lebte mehrere Jahre in New York und arbeitete dort unter anderem in der Gastronomie im Service. Angekommen in Berlin, hat sie sich selbst das Kochen beigebracht und übernahm 2017 die Position als Küchenchefin im neu gegründeten „Kin Dee“. Sie pflegt eine authentische thailändische Küche. Die Zutaten stammen teils aus Thailand, teils aber auch der nahen Mark Brandenburg, weil es auch um Frische gehe. „Kennzeichen der Thailändischen Küche ist die Frische“, sagt sie.

Die jüngste Sterneköchin

Neue Sterneköchin ist auch die 29jährige Maike Menzel im Restaurant „Schwarzreiter“ im Hotel „Vier Jahreszeiten Kempinski“ in München – wo sie nun die kulinarische Tradition des Hauses zu Zeiten des legendären Alfred Walterspiels fortsetzt, unter dem Motto: „Young Bavarian Cuisine“. Die Zutaten stammen vorwiegend aus Bayern und werden zeitgemäß zubereitet. Unter anderem gibt es „Bayerischen Reis“ vom Biohof „Chiemgaukorn“ mit Perl-Korn von Emmer, Einkorn und Ur-Dinkel.

Erwin Seitz

www.sosein-restaurant.dewww.schloss-elmau.de/restaurants-lounges/luce-dorowww.ernstberlin.dewww.kindeeberlin.comwww.schwarzreiter-muenchen.dewww.chiemgaukorn.de